Was die TTIP-Leaks bedeuten

Die von Greenpeace veröffentlichten Abschriften von TTIP-Verhandlungspositionen ermöglichen einen ersten öffentlichen Einblick in die TTIP-Verhandlungen. Dabei zeigt sich, dass unsere bisherige Kritik und die Befürchtungen der Öffentlichkeit absolut gerechtfertigt sind. Es ist bitter, dass ein Leak notwendig ist, um die dringend benötigte Transparenz herzustellen. Und bitter ist auch, was transparent wird: Im Hinterzimmer wird um Verbraucher- und Umweltstandards in Europa gepokert. Durch Expertengremien und die sogenannte regulatorische Kooperation wird die demokratische Kontrolle geschwächt. Das lässt nur einen Schluss zu: diese Verhandlungen stoppen und mit einem besseren Mandat neu starten.

Endlich alles transparent? Mitnichten!
Wer ein weitreichendes Handelsabkommen zwischen den großen Industriestaaten der EU und den USA auf den Weg bringen will, muss dabei das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger haben. Dafür ist ein Mindestmaß an Transparenz nötig. EU-Kommission, Bundesregierung und US-Regierung missachten dies. Aus diesem Grund haben wir als Grüne Bundestagsfraktion gegen die Bedingungen des Leseraums Klage beim Europäischen Gericht eingereicht. Dass es jetzt wieder ein Leak ist, das Licht ins Dunkle der Verhandlungen bringen muss, ist bitter. Es ist dringend notwendig, dass die Europäische Kommission und die Bundesregierung endlich die Zeichen der Zeit erkennen und echte Transparenz schaffen.
 
Die Abgeordneten können nun über die geleakten Dokumente sprechen. Das verbessert die Möglichkeiten der kritischen Begleitung der Verhandlungen enorm. Die Bundesregierung muss jetzt rechtfertigen, was sie an den Verhandlungen gut findet. Die Bürgerinnen und Bürgern können sich nun selbst ein Bild machen. Ein Gewinn für unsere Demokratie.
 
Leider hat immer noch Vieles nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Dazu gehören viele US-Textvorschläge, Verhandlungsstände zum Investor-Staat-Schiedsverfahren oder Vorschläge für relevante Anhänge zum Abkommen. Gerade in diesen werden jedoch politisch sensible Details geregelt. Offenbar ist es für die EU-Kommission möglich, politisch zu entscheiden, wann Abgeordnete die Vorschläge zu Gesicht bekommen – und wann nicht.
 
Bürokratiemonster regulatorische Kooperation
Pflichten für staatliche Stellen, Rechte für Unternehmen: Staatliche Stellen sollen schon extrem früh im Prozess Lobbyisten konsultieren und wären verpflichtet deren Anliegen zu beachten (“take intoa ccount”) und ggf. immer zu antworten. So bekommen Lobbyisten stärkere und rechtlich verbriefte Einflussmöglichkeiten. Das kann politische Prozesse völlig lähmen: Statt gute Ideen zu entwickeln und umzusetzen, müssen staatliche Stellen sich aufwändig rechtfertigen.
 
Dabei soll zukünftig eine wichtige Rolle spielen, ob Regelungen den Handel hemmen könnten. Dazu sollen auch US-amerikanische Entscheidungsträger frühzeitig befragt werden. Nicht wie man das Ziel am besten erreicht, sondern wie es sich auf den Handel auswirkt, steht an oberster Stelle. Wichtige Ziele wie Verbraucherschutz, Klima oder Tierwohl werden so zweitrangig.
 
Mit TTIP würde eine Vielzahl von Gremien und Untergremien geschaffen, die über die Veränderungen künftiger Standards beraten und Anhänge zum TTIP-Vertragswerk ändern können. Gerade in den Anhängen zum TTIP-Vertragswerk werden die politisch sensiblen Details des Abkommens geregelt. Hier droht ein Bürokratiemonster zur Verhinderung ambitionierter Umwelt- und Verbraucherstandards. Wie unter diesen Umständen Parlamentsrechte gewahrt bleiben, ist fraglich. De facto würden die Parlamente weniger Einfluss haben, weil entscheidende Weichen bereits vorher gestellt wurden.
 
Die USA üben Druck aus, dass US-amerikanische Unternehmen in jenen Gremien in Europa vertreten sein sollen, in denen technische Normen europäisch vereinheitlicht und weiterentwickelt werden. Direkter könnte dann der Einfluss der US-amerikanischer Unternehmen auf europäische Regelungen nicht mehr werden.
 
Wissenschaftsbasierter Ansatz statt Vorsorgeprinzip
Die US-Vorschläge verweisen wieder und wieder auf den sogenannten wissenschaftsbasierten Ansatz. Verweise auf das Vorsorgeprinzip – ein Grundpfeiler des europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzes – fehlen hingegen in den europäischen Vorschlägen. Das Vorsorgeprinzip ermöglicht politisches Handeln dann, wenn es deutliche Hinweise gibt, dass ein Produkt schädlich ist – selbst, wenn noch nicht alle Risiken bekannt sind. Der in den USA übliche wissenschaftsbasierte Ansatz steht dazu im Gegensatz. Er lässt zu, dass Mensch und Umwelt Schaden nehmen, weil erst eingegriffen wird, wenn der letzte Nachweis über die Schädlichkeit erbracht wird, was de facto meist unmöglich ist.
 
Wenn Zulassungen aber strikt nach dem wissenschaftsbasierten Ansatz erfolgen müssen, wird es deutlich schwerer vorsorgend einzugreifen und den Import bestimmter Stoffe oder Produkte zu verbieten.
 
Die Leaks bestätigen leider die Befürchtungen und die Kritik an den TTIP-Verhandlungen. In Hinterzimmern soll ein Deal ausgehandelt werden, der Umwelt- und Verbraucherschutz schwächt. Mit den vorgeschlagenen Gremien würde ein neues Bürokratiemonster geschaffen. Die gewählten Parlamente hätten in Zukunft weniger Möglichkeiten. Soweit darf es nicht kommen. Die Verhandlungen müssen jetzt gestoppt werden. Europa braucht ein besseres Verhandlungsmandat, wenn es ein faires Abkommen will.

 

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