Ein Update für die Wirtschaftspolitik

Die Grünen-Politikerinnen Annalena Baerbock und Katharina Dröge plädieren für Handelsverträge, die soziale Standards enthalten.

Die Wirtschaftspolitik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten selbst für überflüssig erklärt. Zu oft haben die Wirtschaftsminister ihren Job darauf reduziert, Fördergelder zu verteilen, Hände zu schütteln und Gruppenfotos mit Konzernchefs zu machen. Dass Wirtschaftspolitik auch gestalten muss, davon hat man sich irgendwann zwischen Thatcher, Kohl und Reagan verabschiedet.

Dabei gibt es viele Fragen: Wie lässt sich die Globalisierung so gestalten, dass sie nicht zum Wettbewerb nach unten führt – um die niedrigsten Umweltstandards, Löhne oder Steuern? Wie lässt sich die Übermacht von Konzernen wie Google und Facebook beschränken? Wie hilft man Menschen, die durch wirtschaftliche Umbrüche vor dem Arbeitsplatzverlust stehen?

Ein Populist wie US-Präsident Donald Trump oder die Brexit-Bewegung in Großbritannien haben die Tatenlosigkeit der Wirtschaftspolitik genutzt. Sie boten eine schlichte Antwort: Grenzen dicht für Menschen und Waren! Diese Antwort ist die falsche, doch es war eben eine Antwort. Trump konnte punkten, weil die anderen nichts taten.

Deshalb ist es wichtig, endlich eine zukunftsweisende Wirtschaftspolitik zu machen. Dafür ist dreierlei erforderlich: faire Handelsverträge, eine starke Wettbewerbspolitik und eine klare Strukturpolitik.

1. Handel gerecht organisieren

Deutschland braucht gute Handelsverträge. Darin muss es Regeln geben zur Bekämpfung von Steuerflucht und Geldwäsche oder zur Umsetzung von Klimavereinbarungen.

Gleichzeitig muss die EU endlich auch Produktionsstandards in Handelsverträgen setzen. Das bedeutet, dass es Mindeststandards etwa in den Bereichen Arbeitsschutz, Gesundheit oder Menschenrechte gibt, die auch für Produkte gelten, die nicht innerhalb der EU hergestellt wurden. Durchsetzen kann man das entweder durch Sanktionen, durch Zölle oder dadurch, dass ein Produkt, das diese Standards nicht erfüllt, erst gar nicht auf dem Binnenmarkt zugelassen wird.

Strukturwandel gestalten

So könnte die EU zum Beispiel für T-Shirts, die aus Bangladesch stammen, Mindeststandards für die Gebäudesicherheit der Textilfabriken formulieren. Dann würde sich nicht immer das Produkt durchsetzen, dessen niedriger Preis mit der Ausbeutung von Umwelt, Menschen und Tieren erkauft wurde. Gleichzeitig würden die Arbeits- und Lebensbedingungen in den ärmsten Ländern verbessert.

Das bedeutet nicht, alle Standards der EU auf die ganze Welt zu übertragen. Das könnten viele Länder gar nicht erfüllen. Aber Mindeststandards kann man durchaus offensiver formulieren. Dabei würden beide gewinnen: die EU und die ärmeren Länder. Denn dort würden die Arbeitsbedingungen verbessert, und hier reduzierten sich Wettbewerbsverzerrungen für hiesige Firmen.

2. Wettbewerbspolitik stärken

Das Wettbewerbsrecht braucht dringend ein Update. Das zeigt sich beispielsweise in der Agrarchemie. Nach einer Fusion von Giganten wie dem deutschen Chemie- und Pharmakonzern Bayer mit dem amerikanischen Agrarunternehmen Monsanto wird der weltweite Saatgutmarkt von nur vier Konzernen dominiert. Die Lebensmittelversorgung ganzer Staaten liegt damit in ihrer Hand.

Doch als die Behörden diese Zusammenschlüsse untersucht haben, spielte diese Tatsache keine Rolle. Sowohl die europäische als auch die deutsche Wettbewerbsbehörde sehen ihren gesetzlichen Auftrag bislang einzig auf die Überprüfung ökonomischer Aspekte beschränkt. Sie untersuchen zum Beispiel, ob Verbraucherpreise steigen könnten oder eine zu hohe Marktmacht gegenüber Zulieferern oder Konkurrenten entsteht. Aus unserer Sicht ist das falsch. Fusionen können erhebliche Auswirkungen haben, auch auf Themen wie Umweltschutz und Ernährungssicherheit. Deshalb sollten diese Themen eine Rolle spielen bei der Abwägung, ob ein Zusammenschluss erlaubt wird.

Ein zweites Beispiel sind Internetmonopolisten wie Google oder Facebook. Sie sind mittlerweile so mächtig, dass sie den Verbrauchern die Bedingungen diktieren können. Hier müssen die Behörden endlich den Machtkampf suchen. So wie die EU-Kommission die Stromnetze von den Erzeugern getrennt hat, könnte sie auch die Digitalkonzerne zwingen, Geschäftsbereiche abzuspalten. Wir fordern etwa die Rückabwicklung der Fusion zwischen Facebook und WhatsApp. Die Kommission hat bei ihrer Genehmigung völlig unterschätzt, welche Marktmacht daraus erwächst und welche negativen Konsequenzen die Fusion für die Verbraucher hat.

Gleichzeitig sollten Kunden Alternativen zu Facebook und Co. haben – und nicht bei einem Anbieter bleiben müssen, weil ihr Freundeskreis dort bleibt. Die Pflicht zur Interoperabilität wäre hier der Weg. Das bedeutet, dass es künftig möglich sein müsste, eine Nachricht von WhatsApp an den Konkurrenzanbieter Threema zu schicken, so wie ich heute schon eine Mail von Googlemail an Web.de schicken kann. Denn wer über die Grenze einer Plattform hinweg kommunizieren kann und damit nicht den Nachteil hat, alle Kontakte im alten Netzwerk zu verlieren, dem fällt der Wechsel leichter.

3. Strukturwandel gestalten

Wenn klassische Branchen sterben, muss das staatlich abgefedert werden. Den Menschen in der Lausitz hilft es nicht, dass die Regierung die Entscheidung über den Kohleausstieg seit Jahren vor sich herschiebt. Dass er kommt, ist klar. Aber niemand regelt, wann und wie genau. Ein klarer Ausstiegsplan tut not. Er böte Zeit für Vorbereitung und für neue Ideen. Umschulung, Weiterbildung und die gezielte Förderung von Zukunftsbranchen gehören dazu.

Wenn dies alles gelingt, dann kann die Marktwirtschaft so arbeiten, wie sie es soll: zum Wohle aller.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeit vom 16.05.2018 und auf Zeit online.

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