Neu in Berlin

„Und? Wie fühlt man sich so als neu gewählte Bundestagsabgeordnete?“ Diese Frage haben mir Freunde, Bekannte und Journalisten in den letzten Wochen immer wieder gestellt. Und ehrlich gesagt habe ich mich das auch immer wieder gefragt. Der Start in Berlin war so rasant und turbulent, dass bislang zu wenig Zeit zum Reflektieren war. Bereits am Montag nach der Wahl bin ich mit dem Zug nach Berlin gefahren, denn die erste Sitzung der grünen Bundestagsfraktion war für den Dienstag geplant. Das hieß für mich: Die dringlichsten Dinge, die „zu Hause“ geregelt werden mussten, zum Beispiel die Information an den Arbeitgeber oder die Wahlauswertung für die Kölner Presse, fanden im Zug nach Berlin statt.

Somit blieb wenig Zeit, darüber nachzudenken, was konkret auf mich warten würde. So wenig Zeit, dass ich mich erst in dem Moment, als ich vor dem Reichstag stand, gefragt habe, wie ich da jetzt eigentlich rein kommen soll – so ohne Ausweis … Zum Glück löst die Bundestagsverwaltung mit dem Abend der Wahl einen gigantischen und sehr professionell organisierten Verwaltungsprozess aus, der alle Belange der neuen Abgeordneten effizient regelt. Dazu gehört auch, dass alle Pförtner direkt mit Namenslisten und Fotos aller Abgeordneten ausgestattet sind – und ich somit tatsächlich direkt in den Bundestag marschieren konnte. Bereits am ersten Tag bekommt jedeR neu gewählte Abgeordnete einen Laptop mit Zugang zum Bundestagsintranet, sowie einen dicken Leitz-Ordner voll mit Formularen und Infomaterialien. Die Spanne reicht hier von der Kopie des Grundgesetzes und dem Abgeordnetengesetz über Informationen für ArbeitgeberInnen oder den Regelungen zur Krankenversicherung für Abgeordnete bis hin zur Frage, wo es Schlüssel gibt, welche Telefonnummer ich bekomme und wann die E-Mailadressen freigeschaltet werden.

Die Bearbeitung dieses Ordners, so habe ich sehr schnell gelernt, ist neben der Suche nach Personal, dem Warten auf Büroräume und dem Kennenlernen von Personen und Prozessen in der grünen Fraktion, eine der Hauptbeschäftigungen neuer Abgeordneter. Weniger generalstabsmäßig geregelt ist der Konstituierungsprozess der neuen Fraktion. Das Wahlergebnis war für uns GRÜNE enttäuschend, sodass der gesamte Parteivorstand und der Parteirat ihre Ämter zur Verfügung gestellt haben. Diese Nachricht erreichte uns Abgeordnete bereits im Zug nach Berlin. Am nächsten Tag, in der ersten Fraktionssitzung meines Lebens, erklärten dann auch Jürgen Trittin, Renate Künast und Volker Beck, nicht mehr für ihre Ämter anzutreten. Mein Start in Berlin war somit ein Beginn in politisch turbulenten Zeiten.

Neben den Konsequenzen, die aus dem Wahlergebnis gezogen werden mussten und den Vorbereitungen und Bewertungen von schwarz-grünen Sondierungsgesprächen, musste sich die Fraktion auch strukturell neu finden. Für uns neue Abgeordnete standen aber noch ganz andere Fragen an: zum Beispiel ob es feste Sitzplätze gibt im Fraktionsraum oder auch bei der konstituierenden Bundestagssitzung oder ob es freie Sitzwahl gibt. Oder: Auf welcher Seite des Plenarsaals gehe ich in die Wahlkabine, um den Bundestagspräsidenten zu wählen? Aber auch die Frage, wie man es in der knapp bemessenen Zeit schaffen soll, einen Kühlschrank, Tisch und Stühle für die Berliner Wohnung zu organisieren, bevor der erste Familienbesuch vor der Tür steht. Die Zeit, die die meisten Abgeordneten in Berlin verbringen, ist oft knapp bemessen und vollgestopft mit Terminen. Vielen, und so geht es mir auch, ist die Zeit zu Hause, im Wahlkreis, mindestens genauso wichtig wie die in Berlin.

Auch in Köln muss ich eine neue Rolle finden – Strukturen und Aufgaben neu definieren. Und dann noch das neue Leben organisieren, das jetzt zwischen zwei Orten pendelt. All das ist spannend, manchmal auch stressig; es erfordert schon mal Selbstüberwindung, gute Organisation, und es macht auch viel Spaß. Wie man sich damit fühlt, Abgeordnete zu sein, kann ich abschließend noch nicht beantworten. Vielleicht fragt ihr mich das in vier Jahren noch einmal.

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