Diskussionen zum Freihandelsabkommen auf dem Grünen Parteitag

Am Wochenende hat der Grüne Bundesparteitag nach intensiver Diskussion eine Beschlussfassung zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA getroffen. Ich habe mich in die Debatte eingebracht und für die Position geworben, die am Ende auf dem Parteitag auch eine Mehrheit gefunden hat. Im folgenden Kommentar möchte ich noch einmal darstellen, warum ein Aussetzen der aktuellen Verhandlungen verbunden mit einem Neustart bei TTIP aus meiner Sicht notwendig ist:

Kommentar zum Freihandelsabkommen TTIP ‚Es geht auch anders – wieso das transatlantische Freihandelsabkommen einen Neustart verdient‘ Von Katharina Dröge

Die Debatte ist verfahren. Seit im Sommer letzten Jahres die Gespräche zwischen VertreterInnen der USA und der EU über eine gemeinsame Freihandelszone aufgenommen wurden, hat sich die Tonlage in den Gesprächen darüber mehr und mehr verschärft. Während Industrie und Unternehmen das Hohelied des wunderbaren Wachstums und der Entstehung von tausenden von Arbeitsplätzen singen, befürchtet eine wachsende kritische Zivilgesellschaft, dass ein solches Freihandelsabkommen zu einer „Lobbykratie“ verkommt, in der etablierte Regeln für den Schutz von Umwelt, Sozialstandards und VerbraucherInnen vor undurchsichtigen Schiedsgerichten unter die Räder kommen. Das verschärfte Klima ist zu einem Teil darauf zurück zu führen, dass die Verhandlungen zu TTIP bislang im Hinterzimmer geführt wurden. Handelskommissar de Gucht und die Kommission haben die Öffentlichkeit viel zu lange über zentrale Eckpfeiler des Abkommens im Unklaren gelassen. Das war und ist grundfalsch und hat das vorhandene Misstrauen großer Teile der transatlantischen Öffentlichkeit zu Recht befeuert. Ein Vertragswerk mit derart enormer Tragweite muss ausführlich und frühzeitig in der Öffentlichkeit debattiert werden, alles andere wäre freiheitlichen Demokratien unwürdig. In komplizierten Verhandlungsprozessen muss es zwar auch einen Platz für Gespräche jenseits der Öffentlichkeit geben. Das erleichtert Vertrauensbildung zwischen den Verhandlungspartnern und ermöglicht Kompromisse. Aber die zentralen Ziele und auch Grenzen des Mandats müssen vorab politisch und öffentlich geklärt sein. Ein Abkommen, das das Licht der Öffentlichkeit fürchten muss, darf nie in Kraft treten. Dass EU Kommissar de Gucht nun einlenkt, und zumindest eine öffentliche Debatte über Teile der Inhalte von TTIP zulassen möchte, ist kaum mehr als ein Teilerfolg. Weder ist bislang klar, wie die öffentliche Beteiligung konkret aussehen soll, noch was aus ihr folgt. Zudem gibt der gewählte Zeitpunkt Anlass zur Vermutung, dass hier ein Manöver gewählt wird, um das Abkommen über die Europawahl zu bringen. Die eigentliche Verhandlung des Abkommens beginnt im März dieses Jahres. Deshalb wäre es verfrüht und unklug, jetzt ein abschließendes Urteil über TTIP zu fällen. Zur Wahrheit gehört aber, dass bisher alles auf einen aus grüner Sicht völlig inakzeptablen Vertragstext hinausläuft: So beharren die USA offenbar nach wie vor auf ein vollkommen unnötiges und allein auf die Interessen großer Konzerne zugeschnittenes Klage-Privileg für Lobbyisten. Außerdem bleibt unklar, wie robust die wechselseitige positive Anerkennung von Standards im Rahmen von TTIP abgesichert werden kann, oder ob es nicht im Gegenteil auf ein „race tot he bottom“ bei den Umwelt- und Sozialstandards auf beiden Seiten des Atlantiks hinaus läuft. Nicht zuletzt kann es nicht reichen, allein auf den Abbau von Handelshindernissen zu setzen. Im Rahmen eines solchen Abkommens lassen sich auch viele Potentiale heben, die bisher ignoriert werden: So kann zum Beispiel der  ökologische Umbau der Wirtschaft vorangebracht werden, indem umweltfreundliche Effizienztechnologie von Zöllen komplett befreit wird. Die Marktchancen Erneuerbarer Energien können durch die Streichung marktverzerrender Subventionen für fossile Brennstoffe gestärkt  werden. Und langfristig kann ein gemeinsamer, transatlantischer Emissionshandel zu einem wichtigen Bestandteil im Kampf für den Klimaschutz avancieren. Das Vertrauen in den aktuellen Verhandlungsprozess ist aus meiner Sicht allerdings so tief erschüttert, dass nur ein echter und ernst gemeinter Neustart den Verhandlungen zur notwendigen Akzeptanz verhelfen wird. So ein Neustart heißt vor allem, dass die Ziele und der Weg zu einem Abkommen überdacht und neu geordnet werden müssen. Für uns Grüne ist klar, dass eine transatlantische Freihandelszone reale Chancen bietet, etwa für die Beschleunigung des ökologischen Umbaus der Wirtschaft. Genauso einig sind wir uns aber darin, dass wir keinem Abkommen zustimmen dürfen, dass Lobbyisten Klage-Privilegien einräumt, das Vorsorgeprinzip zum Schutz der VerbraucherInnen in Frage stellt oder den europäischen Lebensmittelmarkt für genmanipulierte Pflanzen öffnet. Deshalb haben wir schon vor knapp einem Jahr gesagt, dass ein Freihandelsabkommen nur sinnvoll ist, wenn diese Punkte darin nicht vorkommen und die reale Chance besteht, ökologische und soziale Standards auf beiden Seiten auszubauen, anstatt sie zu schleifen. Das Verhandlungsmandat auf europäischer Seite muss in jedem Fall bei der EU-Kommission verbleiben. Allerdings reicht es nicht aus, allein die Handelsdirektion mit den Verhandlungen zu beauftragen: Wer will, dass Umwelt- und Verbraucherschutz eine Rolle spielen, muss die zuständigen Direktionen einbinden. Unverzichtbar ist außerdem ein qualitatives Plus an Transparenz auf allen Stufen des Prozesses der Verhandlung und der Umsetzung:  Kommission und Bundesregierung müssen der Zivilgesellschaft unaufgefordert und zeitnah konkrete und umfassende Berichte zu den Inhalten und Fortschritten der Verhandlungen zur Verfügung stellen. Nur dann kann ein ernsthafter Dialog über Chancen und Risiken zustande kommen. Ein transatlantisches Freihandelsabkommen bietet viele Chancen. Niemandem kann daran gelegen sein, sie leichtfertig aufs Spiel  zu setzen. Gerade weil beide Seiten in Teilbereichen über kluge und robuste System zum Schutz von VerbraucherInnen verfügen, lohnt es sich konstruktiv für eine bessere Variante eines solchen Abkommens zu kämpfen. Wer ein Abkommen reflexartig und dogmatisch ablehnt, verschenkt Möglichkeiten etwa dem Klimaschutz mit neuen Standards den Rücken zu stärken. Wer die Pläne kritiklos durchwinkt trägt unter Umständen Verantwortung für eine massive Erosion der Regeln zum Schutz der Verbraucher. Nur ein ernst gemeinter, echter Neustart birgt die Chance, das Beste aus einem Freihandelsabkommen zu holen – für beide Seiten des Atlantiks.

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