Warum wir TTIP und CETA so nicht wollen. Nur fairer Handel ist freier Handel

Nur fairer Handel ist freier Handel

Klage-Privilegien für Konzerne, weniger Verbraucherschutz, mehr Einfluss für Lobbyisten – das Freihandelsabkommen TTIP steht schwer in der Kritik. Befürworter halten das für überzogen. Doch ein genauer Blick zeigt: Die Sorgen um europäische Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz sind sehr wohl berechtigt. Und wenn Konzerne und Lobbyisten das Sagen haben, bleibt die Demokratie auf der Strecke.

Vor etwa einem Jahr haben sich die USA und die EU auf den Weg zu einem transatlantischen Freihandelsabkommen gemacht. Die Vision war ein atlantischer Binnenmarkt, der Wirtschaftswachstum und steigende Beschäftigungszahlen auf beiden Seiten des Atlantiks bringen sollte. Die Rede war von einem kostenlosen Konjunkturprogramm und zudem einer Vertiefung der amerikanisch-europäischen Beziehungen. Nur Gewinner, keine Verlierer, das war das Bild, das die Befürworter zum Start von TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zeichneten.

Seitdem ist viel passiert. Zunehmend sehen sich die Unterhändler einer hartnäckigen Öffentlichkeit gegenüber. Sie übt scharfe Kritik an den Verhandlungen, die durchweg hinter verschlossenen Türen stattfinden. Bei TTIP, so ihre Warnung, könnte es sehr wohl viele Verlierer geben. Die Gefahren, die das Abkommen birgt, könnten mögliche Chancen deutlich übersteigen, etwa indem europäische Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz einer „Harmonisierung“ zum Opfer fallen und dem Einfluss der Konzerne ganz neue Wege eröffnet werden.

Wir Grüne im Bundestag haben schon sehr früh Einwände gegen Mandat, Verhandlungsführung und Inhalte von TTIP erhoben. Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, der Schutz und Ausbau von Verbraucherschutz, Sozial-, Umwelt-, Lebensmittel- und Gesundheitsstandards sind für uns nicht verhandelbar. Bereits im Juni 2013 haben wir in einem Bundestagsantrag rote Linien definiert, die bei den kommenden TTIP-Verhandlungen nicht überschritten werden dürfen.

Ein Jahr später müssen wir jedoch ernüchtert Bilanz ziehen, denn die Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und den USA gehen in eine völlig andere Richtung.

WAS IST ZU BEFÜRCHTEN?

Bei TTIP geht es um weit mehr als nur darum, den Handel durch den Abbau von Zöllen zu erleichtern. Geplant ist darüber hinaus eine Reihe von Vorhaben zum Abbau sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse. Hier geht es um technische Normsetzung, aber auch um gesetzliche Regulierungsvorschriften. Die Vereinheitlichung von Steckdosen ist dabei ein harmloses, wenn auch sinnvolles Beispiel. Entscheidend ist aber, dass auch etablierte Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz unter die Räder kommen könnten. Insbesondere Instrumente wie Klageprivilegien für Unternehmen und die regulatorische Kooperation bergen erhebliche Risiken.

Es ist zu befürchten, dass durch diese Instrumente in TTIP Großkonzerne und Lobbyisten erheblich an Einfluss gewinnen – zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger in Europa, aber auch in den USA. Mehr noch: Die Stellung demokratisch gewählter Parlamente könnte zugunsten von Interessenverbänden untergraben werden. Da TTIP

als „Living Agreement“ angelegt ist, als dynamisches Vertragswerk, kann es auch in Zukunft noch weitreichende Auswirkungen haben. Erhöhte Aufmerksamkeit ist deshalb schon jetzt geboten.

ÖFFENTLICHE KRITIK ZEIGT ERSTE ERFOLGE

Das enorme öffentliche Interesse scheint die TTIP-Unterhändler allerdings überrascht zu haben. Andere Freihandelsabkommen, etwa das kanadisch-europäische Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) oder das Freihandelsabkommen mit Japan (FHA Japan), wurden bislang nur unter Expertinnen und Experten diskutiert. Doch mit TTIP ist die Debatte um die Ausgestaltung von Freihandelsabkommen auch in Schulen, in Fußgängerzonen und damit bei vielen Menschen angekommen.

Die öffentliche Kritik hat erste Erfolge bewirkt. So sah sich die EU-Kommission gezwungen, zu den Verhandlungen zum Investitionsschutzkapitel, einem besonders heftig umstrittenen Bestandteil des geplanten Abkommens, eine öffentliche Befragung der Bürgerinnen und Bürger Europas auszurufen. Zwar haben wir Grüne im Bundestag berechtigte Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieses Vorhabens, doch man kann diese öffentliche Beteiligung durchaus als Maßstab sehen, an dem sich die Kommis­sion auch bei anderen Kapiteln von TTIP wird messen

lassen müssen.

Reagiert hat auch die Bundesregierung. Wirtschaftsminister Gabriel hat kurz vor der Europawahl versucht, die politische Notbremse bei TTIP zu ziehen. Um kritische Stimmen zum Investitionsschutzkapitel zu besänftigen, schrieb er Handelskommissar De Gucht, dass „spezielle Investitionsschutzbestimmungen“ in einem Handelsabkommen zwischen der EU und den USA nicht erforderlich seien. Bislang hat sich Gabriel allerdings auf öffentliche Bekenntnisse beschränkt: Als wir Grüne im Bundestag exakt die Formulierungen des Wirtschaftsministers am

22. Mai im Parlament zur Abstimmung bringen wollten, duckten sich Gabriel und die SPD weg und verhinderten eine Abstimmung. Auch einem zweiten grünen Antrag, der betonte, dass es in TTIP zu keinem „Demokratie-Outsourcing“, also einem privilegierten Zugang von Lobbyisten zu den Beratungen über Regulierungsvorhaben kommen dürfe, verweigerten SPD und Union die Zustimmung. Es kommt also weiterhin darauf an, laut und deutlich Kritik zu äußern und die Öffentlichkeit zu informieren.

VERHANDLUNGEN HINTER VERSCHLOSSENEN TÜREN

Unsere Kritik an TTIP zielt sowohl auf die mangelnde Transparenz der Verhandlungen als auch auf zentrale Inhalte des Abkommens. Im Mittelpunkt stehen vor allem die Pläne zum Investitionsschutz sowie zur regulatorischen Kooperation und Standardangleichung. Aus grüner Sicht ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass die Parlamente und die Zivilgesellschaft zeitnah und unaufgefordert über Ziele, Inhalte und konkrete Umsetzung solch wichtiger Verhandlungen informiert werden. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die Verhandlungen zu TTIP finden nahezu ausschließlich hinter verschlossenen Türen statt. Weder die Öffentlichkeit noch das Europaparlament oder die nationalen Parlamente verfügen über ausreichend Informationen, um die Verhandlungen wirklich bewerten zu können. Und auch die Bundesregierung musste in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der grünen Fraktion eingestehen, dass sie beispielsweise die US-Verhandlungsdokumente nicht kennt.

PROFITE EINKLAGEN LEICHT GEMACHT

Ein weiterer Hauptkritikpunkt ist das geplante Kapitel zum Investitionsschutz beziehungsweise den Regelungen zu Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen ISDS (Investor-state dispute settlements). Dahinter verbergen sich Sonder-Klagewege für Unternehmen vor nichtstaatlichen, überwiegend geheim tagenden, internationalen Schiedsgerichten. Wir Grüne im Bundestag lehnen ein solches Instrument in TTIP genauso wie in CETA ab. Ursprünglich sollten diese Regeln Unternehmen in Staaten mit nicht ausreichend entwickelten Rechtssystemen vor Enteignung schützen. Die EU und die USA sind jedoch robuste Rechtsstaaten, auf beiden Seiten des Atlantiks können Firmen ihre Rechte vor staatlichen Gerichten einklagen. Ein solches Instrument ist nicht nur unnötig, es birgt auch große Risiken.

In den letzten Jahren nutzten Konzerne zunehmend bestehende Investitionsschutzverträge für ihre Interessen. Sie griffen staatliche Regelungen zum Umwelt- oder Gesundheitsschutz an, wenn sie ihre Profite dadurch eingeschränkt sahen, und stellten Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe. Die Lasten tragen die Bürgerinnen und Bürger. Zum einen weil die Steuerzahler für die Schadensersatzforderungen von Großkonzernen aufkommen müssen, zum anderen weil sinnvolle Regulierungsvorhaben, etwa zum Schutz von Sozialstandards, unter die Räder kommen können. Problematisch daran ist auch das mögliche Droh- und Druckpotenzial, das dieser Mechanismus grundsätzlich gegenüber staatlichen Regulierungsmaßnahmen entfalten kann. Unter Umständen kommt es zu einem „Chilling Effect“: Angesichts der Gefahr möglicher Klagen verzichten Staaten lieber gleich auf Regulierungsvorhaben oder zögern sie zumindest hinaus.

Vor allem weit interpretierbare Rechtsbegriffe haben Konzerne dabei als Grund für Klagen genutzt. Auf dieser Grundlage hat Philip Morris beispielsweise Uruguay auf Zahlung von zwei Milliarden Dollar Schadensersatz verklagt, wegen Vorschriften für Zigarettenpackungen, die dem Schutz der Gesundheit dienen sollen. Das Beispiel zeigt: Internationale Konzerne nutzen ihre Klage-Privilegien ganz gezielt, um ihre Gewinne zu maximieren. Das ist nicht hinnehmbar. Es ist zu befürchten, dass auch in TTIP die Klagebefugnisse nicht so konkretisiert werden, dass Schutz vor missbräuchlichen Konzernklagen geboten wird. Dieses Problem war Gegenstand eines Fachgesprächs der grünen Fraktion und eines von uns in Auftrag gegebenen unabhängigen Rechtsgutachtens. Die Bundesregierung hingegen konnte sich bislang, trotz wiederholter Nachfragen, zu keiner fachlichen Bewertung der Kommissionsvorschläge durchringen. Andere fundamentale Kritikpunkte, etwa dass Richter fallabhängig bezahlt werden oder dass Personen in einem Verfahren Anwalt, im nächsten Richter sein können, was die Neutralität der Verfahren gefährdet, sind in den Kommissionsvorschlägen nicht berücksichtigt.

EUROPÄISCHES VORSORGEPRINZIP IN GEFAHR?

Ein zweiter wichtiger inhaltlicher Kritikpunkt sind die bislang bekannten Pläne zur „regulatorischen Kooperation“. Grundsätzliches Ziel ist es, Kompatibilität beziehungsweise Harmonisierung zwischen den Standards der EU und der USA herbeizuführen. Wenn es etwa um die Vereinheitlichung von Steckern und Steckdosen geht, um auf das plastische Beispiel zurückzukommen, kann das sinnvoll sein. Kritisch ist dies bei Verfahren zur gegenseitigen Anerkennung von Standards im Bereich des Umweltschutzes oder Verbraucherschutzes. Es muss verhindert werden, dass beide Seiten ihre jeweils niedrigeren Schutzstandards durchsetzen. So könnten Banken versuchen, mit Hilfe von TTIP die gerade erst verstärkten Regeln für Finanzmärkte in den USA wieder zu schwächen. Große Sorge besteht vor allem beim europäischen Vorsorgeprinzip. Danach kann einem Produkt oder einer Technologie die Zulassung in der EU verwehrt werden, wenn nicht eindeutig erwiesen ist, dass sie für Mensch und Umwelt unschädlich sind. Es ist zu befürchten, dass die US-Seite dieses Prinzip mit Hilfe von TTIP aushebeln will. So sagte ein Top-Lobbyist des US Council for International Business, TTIP mache nur dann Sinn, wenn man das Vorsorgeprinzip loswerden könne.

Die Pläne zur regulatorischen Kooperation könnten außerdem dazu führen, den Einfluss von Lobbyisten im Rahmen von Regulierungsvorhaben deutlich auszuweiten. Wie interne, aber an die Öffentlichkeit gelangte EU-Dokumente zeigen, könnten Regulierungsvorhaben künftig zuerst in sogenannten Regulierungsräten beraten werden. Darin sollen neben Regierungsvertretern auch „Stakeholder“ – das heißt Lobbyisten – großzügige Kommentierungsrechte bekommen, noch bevor Parlamente die Entwürfe zu Gesicht bekommen.

Für uns Grüne im Bundestag ist klar: Bei der Vertiefung von Handelsbeziehungen sollten die Partner auch miteinander über Kooperation reden. Das Primat der Politik liegt aber in den Händen der demokratisch gewählten Parlamente, nicht in denen von Lobbyisten. Auch das haben wir in unserem Antrag vom 22. Mai 2014 mehr als deutlich unterstrichen.

SO NICHT – NICHT MIT UNS!

Es lässt sich bilanzieren, dass der politische Druck und der öffentliche Diskurs um TTIP Wirkung zeigen. Wir werden uns im weiteren Verhandlungsprozess dafür stark machen, dass TTIP in dieser Form nicht beschlossen wird. Wir unterstützen die Idee, die transatlantischen Handelsbeziehungen zu vertiefen. Doch dafür brauchen wir ein faires Abkommen, das Sozial, Umwelt-, Verbraucher-, Gesundheits- und Sozialstandards auf beiden Seiten des Atlantiks stärkt. Die Chancen von Entwicklungsländern müssen dabei berücksichtigt und gefördert werden. Das ist nach derzeitigem Stand nicht der Fall. Deshalb muss TTIP in der bislang verhandelten Form gestoppt werden. Ohne einen kompletten Neustart mit einem völlig neuen Verhandlungsmandat hat TTIP aus unserer Sicht keine Zukunft. Sowohl in Sachen TTIP als auch bei anderen Handelsabkommen und der Arbeit der WTO werden wir dafür streiten, dass freier Handel immer fairer Handel sein muss.

 

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